Der Prophet Hosea (12) Der Zustand Ephraims – keine Hoffnung mehr (Hos 4,6-19): der religiöse Zustand des Volkes

Lesezeit: 7 Min.

Der Verlust der priesterlichen Stellung (V. 6-11)

Noch einmal spricht Gott die Kinder Israel mit „mein Volk“ an (Hos 4,6), obwohl Er es bald nicht mehr als solches anerkennen würde (Hos 1,9). Mit schmerzerfülltem Herzen stellt Er fest, dass „sein Volk“ aus Mangel an Erkenntnis vertilgt wird.

Worin lag die Ursache einer solchen Entwicklung? Hatte Gott nicht Israel das Gesetz gegeben (Röm 3,2)? Das Volk hätte Gott in dem Maß erkennen können, wie Er sich darin offenbart. Doch statt es wie Esra später zu erforschen (Es 7,10), vergaßen sie das Gesetz ihres Gottes und verwarfen die Erkenntnis (Hos 4,6).

Das würde nicht ohne Folge bleiben: Gott würde auch sie verwerfen und vergessen. Mehr noch. Israel würde das Vorrecht seiner priesterlichen Stellung verlieren (Hos 4,6). Wie hätte es dienen, anbeten und im priesterlichen Dienst erhalten werden können einem Gott gegenüber, den es gar nicht mehr kannte?

In der Wüste Sinai hatte Gott ihnen verheißen: „Wenn ihr fleißig auf meine Stimme hören und meinen Bund halten werdet, so sollt ihr mein Eigentum sein aus allen Völkern; denn die ganze Erde ist mein; und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und eine heilige Nation sein“ (2. Mo 19,5.6). Israel hat den Bund nicht gehalten, sodass ihnen das priesterliche Vorrecht genommen wurde.

Welch ein Los, von Gott verworfen und vergessen zu werden. Welch ein Verlust, das Privileg aufzugeben, Gott priesterlich zu nahen – dem Gott, der sie aus der Hand ihrer Feinde errettet hatte, um unter ihnen zu wohnen und Gemeinschaft mit ihnen zu haben.

Die Anklage der Priester

Nun kommt Hosea vom priesterlichen Dienst auf die Priester selbst zu sprechen (Hos 4,8). Aufgrund ihrer Stellung trugen sie in den Augen Gottes eine höhere Verantwortung als das Volk, da sie die Nation vor Gott darstellten. Doch wie das Volk hatten auch die Priester versagt und ihrer Verantwortung nicht entsprochen.

Wie Hosea die Sünden des Volkes zu Anfang dieses Kapitels in einer Art Anklageliste aufgedeckt hat, macht er nun auch das sündige Verhalten der Priester offenbar. Denn mittlerweile hatten diese Gefallen gefunden an den Sünden des Volkes, indem sie sich an den Opfern bereicherten, die dargebracht wurden. Sie wünschten sogar, dass die Sünden sich mehrten, damit sie um so reichlicher von ihren Opfern essen konnten: „Sie essen die Sünde1 meines Volkes und verlangen nach seiner Ungerechtigkeit2“ (Hos 4,8).

Das macht offenbar, wie tief der priesterliche Dienst gesunken war. Im Grunde genommen war er nur noch ein „Geschäft“, „Broterwerb“, bei dem der „religiöse“ Dienst auf materielle Vorzüge reduziert wurde. Sie sahen die dargebrachten Sündopfer nur noch als Quelle des Gewinns. Wie könnte Gott eine solche Beleidigung gegenüber seiner Herrlichkeit und Heiligkeit dulden?

Das Gericht der Priester

Er würde ihr sündiges Verhalten im Gericht heimsuchen: „Und ich werde ihre Wege an ihnen heimsuchen und ihnen ihre Handlungen vergelten“ (Hos 4,9). Das Verhalten der Priester würde nicht ungestraft bleiben. Gott ist zu rein von Augen, um Böses zu sehen (Hab 1,13). Daher würde auch sie Gericht treffen, da sie ebenso in moralischer Verdorbenheit versunken waren wie das allgemeine Volk (Hos 4,9).

Israels Götzendienst (V. 12-14)

Das Verlassen des lebendigen Gottes und das Vergessen des Gesetzes hatte Israel zu den widersinnigsten Praktiken geführt, auf die Hosea nun zu sprechen kommt. Trinksucht (Wein und Most) und Hurerei, die ihnen den Verstand nahmen, sowie ihr Urteilsvermögen, dass es nicht mehr auf den Herrn achtete, sondern Ihn verließ (Hos 4,11.12.14; vgl. 3. Mo 10,8-11), um hinzugehen, und das Holz zu befragen und seinen Stab (Hos 4,11).

Zudem waren abergläubische Riten an die Stelle des wahren, von Gott gegebenen Gottesdienstes getreten, dass sie auf den Gipfeln der Berge opferten und auf den Hügeln räucherten und dort Hurerei trieben (Hos 4,13). So bestimmten moralische und religiöse Sünden den Alltag des Volkes, statt Treue und Gottesfurcht.

Warnung und Hoffnung Judas (V. 15-19)

Wenn Gottes Gericht über Israel besiegelt war, hatte Juda dieses Urteil (noch) nicht zu erwarten. Im Gegenteil. Der Prophet forderte sie auf: „So mache Juda sich nicht schuldig“ (Hos 4,15). Eindringlich warnte Hosea sie durch sein „Rufen“ und wollte sie davor bewahren, nicht in dieselben Sünden zu fallen, wie Ephraim3. Deshalb forderte er sie auf: „Und kommt nicht nach Gilgal und zieht nicht hinauf nach Beth-Awen und schwört nicht: So wahr der Herr lebt“ (Hos 4,15).

Anders ausgedrückt: Juda sollte sich absondern von allem, was unter dem Deckmantel geweihter Namen (Gilgal, Beth-Awen) die Ungerechtigkeit Israels und das Verlassen Gottes vertuschte und nur ein Schein von Frömmigkeit gab. Denn mittlerweile trieb Israel an diesen Orten Götzendienst und hielt dort seine götzendienerischen Festmahle ab. Obwohl der ursprüngliche Charakter beider Orte verloren gegangen war, meinte das Volk, sich immer noch auf die Gegenwart Gottes dort berufen zu können, indem es sagte: „So wahr der Herr lebt“. Wie war doch die Erkenntnis Gottes unter ihnen verloren gegangen. Wie treffend ist die Warnung Hoseas: „So mache Juda sich nicht schuldig“!

Eine Aufforderung an Christen

Die Warnung an Juda erinnert an die Worte des Apostels Paulus im Brief an Timotheus: „Jeder, der den Namen des Herrn nennt, stehe ab von der Ungerechtigkeit! In einem großen Haus aber sind nicht allein goldene Gefäße, sondern auch hölzerne und irdene, und die einen zur Ehre, die anderen zur Unehre. Wenn nun jemand sich von diesen reinigt, so wird er ein Gefäß zur Ehre sein, geheiligt, nützlich dem Hausherrn, zu jedem guten Werk bereitet“ (2. Tim 2,20.21). Nur in völliger Hingabe an den Herrn und in der Wegwendung vom Bösen können wir dem Hausherrn nützlich, zu jedem guten Werk bereitet und zu seiner Ehre in praktischer Heiligkeit leben (1. Pet 1,15; 2. Pet 3,11; 2. Kor 7,1; Röm 6,19; Heb 12,14; 1. Tim 2,15), um nicht durch die Verbindung mit Bösem verunreinigt und mit fortgerissen zu werden.

Gilgal und Beth-Awen

Die beiden Orte „Gilgal“ und „Beth-Awen“ waren in der Geschichte Israels Orte von bedeutender Relevanz. Gilgal war der erste Lagerplatz im Land, nachdem das Volk den Jordan überquert hatte (Jos 5,19). Dieser Ort erinnert an die Beschneidung des Volkes (Jos 5,2-9), ein Bild des Gerichts über das sündige Fleisch, ohne die man das Land nicht in Besitz nehmen konnte. Außerdem erinnert Gilgal an den Ausgangspunkt aller Siege, die Israel davongetragen hatte (vgl. Jos 6,11.14). Zudem ist Gilgal für uns der „Gedenkplatz“ des Sieges über den Tod, der durch die in der Mitte des Jordan stehenden Bundeslade (Christus) davongetragen wurde; ein Denkmal an den Eintritt des Volkes in das Land Kanaan (für uns die himmlischen Örter).

Dieser Ort war durch das untreue Handeln Israels ein Ort geworden, wo sich das Fleisch zügellos in unmoralischer und religiöser Hinsicht offenbarte, ein Ort unheiliger Altäre und Opfer, ein Platz, an dem sich die Ungerechtigkeit und Bosheit gemehrt hatte (vgl. Hos 9,15; 12,12; Amos 4,4; 5,5).

In gleicher Weise hatte auch Bethel (Haus Gottes) seinen Charakter verloren. An dem Ort, wo Gott Jakob erschienen war und ihm Verheißungen gegeben hatte (1. Mo 28,13-15), wo er seinen Namen „Israel“ empfing und wo der Allmächtige sich ihm in einer ganz neuen Weise zu erkennen gegeben hatte, dieser Ort war zu einem Ort des Götzendienstes geworden, an dem schon Jerobeam eins der beiden goldenen Kälber aufstellen ließ, die einen Grundstein zum Götzendienst legten (1. Kön 12,29), sodass Bethel zu einem Ort götzendienerischer Altäre wurde (Amos 3,14). Durch das sündige Verhalten des Volkes verlor Bethel seinen Charakter als Haus Gottes, sodass es in ironischer Weise den Namen „Beth-Awen“ erhielt (Götzenhaus) (vgl. Hos 5,8; 10,5). Damit war aus dem Haus Gottes ein Götzenhaus geworden, aus der Anbetung Ephraims Götzendienst!

Das Gericht über Ephraim

Nachdem Gott Juda zur Treue aufgerufen hatte (Hos 4,15), spricht Er in den folgenden Versen noch einmal über das Gericht der zehn Stämme, Ephraim (V. 16-19).

Das Wort „verbündet“4 weist wohl darauf hin, dass Israel so sehr im Götzendienst verstrickt war, dass es unfähig geworden war, sich davon zu trennen. Für sie gab keine Hoffnung mehr zur Buße. Deshalb ließ Gott ihnen sagen: „Lass sie gewähren“ (Hos 4,17). Er würde sie bald wie ein Lamm in weitem Raum weiden und sie allen Gefahren preisgeben.5

„Die Flügel des Windes“ sind dabei ein Symbol des Gerichtes Gottes über Israel und dessen Fürsten (Hos 4,18.19). Gott muss mit schwerem Gericht antworten – „wegen ihrer Opfer“ (Hos 4,19). Das ist Er seiner Heiligkeit schuldig. Dabei hatte Er Israel immer wieder Raum zur Buße gegeben, doch sie nahmen die Gelegenheit nicht wahr.

Eine Warnung an Christen

In ähnlicher Weise handelt Gott auch heute im Leben seiner Kinder. Wenn Sünde da ist, ruft Er zur Buße auf. Er will, dass wir unser Leben in Ordnung bringen und die Sünde vor Ihm bekennen. Dazu handelt Er manchmal in seinen Regierungswegen mit uns, die keinen Gegenstand der Freude bilden und „schmerzhaft“ sind (Heb 12,6-11). Ziel dabei ist, dass wir seiner Heiligkeit teilhaftig werden und wieder in praktischer Heiligkeit leben.

Fußnoten

  • 1 Unter dem Begriff „Sünde“ sind wohl die „Sündopfer“ zu verstehen.
  • 2 O. Schuld
  • 3 Die Gefahr war deshalb groß, da die beidem im Folgenden genannten Orte nach der Teilung des Königreiches durch Eroberung in den Besitz Ephraims übergegangen und unmittelbar in der Nähe Judas lagen, sodass die Gefahr der bösen Einflüsse unmittelbar „vor der Tür“ der Bewohner Judas lauerte.
  • 4 Das Wort „verbündet“ ist das gleiche, das benutzt wird, um durch Zauberei hervorgerufene Bindungen zu beschreiben. Israel war so durch das Joch des Götzendienstes gebunden, als wäre es durch den Götzendienst verzaubert und unfähig, sich davon zu lösen.
  • 5 „In weitem Raum“ bedeutet: „allen Gefahren preisgeben“
Beitrag teilen

Artikelreihe: Der Prophet Hosea

Verwandte Artikel

Der Prophet Hosea (11) Der Zustand Ephraims – keine Hoffnung mehr (Hos 4,1-5): der moralische Zustand des Volkes Manuel Walter Der moralische Zustand Israels hatte seinen Tiefpunkt erreicht. Dieser begründet sich nicht nur in dem Verlassen des lebendigen Gottes und dem Verlassen des Gesetzes, sondern auch in ihren schrecklichen Sünden. Das würde nicht ohne Folgen bleiben… Artikel lesen
Der Prophet Hosea (14) - Der moralische Zustand des Volkes und die Umkehr in großer Drangsal (Hosea 5,8-15) Manuel Walter Israel steht vor dem Ruin. Sie bitten um Hilfe. Ihr Weg führt jedoch nicht zu Gott, der allein helfen kann, sondern in die Welt. Kurz darauf entpuppt sich der vermeintliche Helfer als Zuchtrute Gottes. Gibt es jetzt noch Hoffnung? Artikel lesen
Der Prophet Hosea (13) - Der moralische Zustand des Volkes und die Umkehr in großer Drangsal (Hosea 5,1-7) Manuel Walter Zu jeder Zeit schenkt Gott seinem Volk Führer. Was aber, wenn Führer versagen und zu einem Fallstrick werden? Genau das trug sich in Israel zu… Artikel lesen
Der Prophet Hosea (16) - Die Klage des Herrn über Israel (Hosea 6,4-11) Manuel Walter Frömmigkeit oder Schlachtopfer? Erkenntnis oder Brandopfer? Innere Werte oder äußere Handlungen? Wieder offenbart Hosea, worauf es in der Praxis ankommt. Artikel lesen
Der Prophet Hosea (15) - Die Klage des Herrn über Israel (Hosea 6,1-3) Manuel Walter Das moralische Verhalten Israels hat einen Tiefpunkt erreicht. Inmitten des Verfalls stellt Hosea ihnen dennoch vor, dass sie eine Zukunft haben. Er macht ihnen deutlich, dass ihre künftige Verwerfung nicht für immer sein wird. Einmal wird Israel ... Artikel lesen
Der Prophet Hosea (2) - Einleitung (Empfänger und Gliederung) Manuel Walter Propheten sind Sprachrohre Gottes. Ein solches war auch Hosea. Doch an wen richtete sich seine Botschaft? Wen hat er konkret vor Augen?   Artikel lesen