Haben Kinder einen Schutzengel?

Lesezeit: 4 Min.
© So sehen Engel bestimmt nicht aus!

Dieser Satz kommt recht unvermittelt an dieser Stelle und hat Anlass für merkwürdige Gedanken gegeben. Manche haben gedacht, dass dieser Vers lehre, jedes Kind habe einen besonderen Schutzengel im Himmel. Abgeleitet wird dies aus Stellen wie Daniel 10, wo es heißt, dass Michael der Engelfürst für das Volk Israel sei (Dan 10,21) - was er auch ist -, und Apostelgeschichte 12,15, wo die versammelten Gläubigen dachten, der Engel von Petrus stehe vor der Tür.

Dieser Gedanke eines Schutzengels im Himmel ist aber völlig abwegig. Aus Daniel 10 lernen wir, dass Engel sich um bestimmte Völker kümmern. Hebräer 1,14 zeigt uns, dass Engel ohne spezielle Zuordnung einen Dienst an Gläubigen ausführen. Von einem Schutzengel ist aber keine Rede.

Der für „Engel" verwendete Ausdruck bedeutet sowohl im Hebräischen (Altes Testament) als auch im Griechischen (Neues Testament) Bote als Stellvertreter dessen, für den er steht bzw. gesandt ist. Dieser Stellvertreter - auch der Engel - ist der Vertreter dessen, der ihn sendet. So geht es auch hier schlicht um einen Stellvertreter. Diesen Gedanken finden wir beispielsweise in Offenbarung 2 und 3, wo immer wieder von dem Engel der Versammlung in Ephesus, Smyrna, usw. die Rede ist. Das ist der Stellvertreter der Versammlung vor dem Herrn Jesus und zugleich der Stellvertreter des Herrn in der Versammlung (der Stern, der das Licht Gottes ausstrahlt).

In Apostelgeschichte 12 wiederum ist nicht so sehr der Gedanke, dass Petrus einen Stellvertreter geschickt hätte, sondern dass sein Geist (an seiner Stelle - in diesem Sinn stellvertretend) vor der Versammlungstür stünde. Genau das ist der Gedanke auch hier in Matthäus 18. Es geht darum, dass die Engel der Kleinen das Angesicht des Vaters des Herrn Jesus schauen.

Nun stellt sich die Frage: Geht es hier um lebende Kinder oder um gestorbene? Bleiben wir kurz bei der Grundaussage dieses Verse stehen: Der Herr zeigt, was für einen Wert diese kleinen Kinder für seinen Vater besitzen. Mit diesem „Argument" warnt er jeden Menschen ausdrücklich davor, solche Kleinen zu verachten bzw. ihnen einen Fallstrick zu legen, dass sie zu Fall kommen.

Welchen besonderen Wert diese Kinder für den Vater 1 besaßen, drückt der Herr Jesus aus, wenn Er sagt, „dass ihre Engel in den Himmeln allezeit das Angesicht meines Vaters schauen, der in den Himmeln ist". Zunächst deutet der Zusammenhang an, dass es sich um lebende Kinder handelt. Denn vom Tod der Kinder ist hier keine Rede. Das ist der Grund, dass der geschätzte Bibelausleger Franz Kaupp in seinem Buch „Biblische Fragen" schreibt:

„Das Angesicht sehen" ist ein Ausdruck, welcher der Umgangssprache entnommen ist und von einem Orientalen der damaligen Zeit leicht verstanden wurde, genau wie wir unsere Redensarten dem Leben entnehmen. „Das Angesicht des Königs sehen" war z. B. eine Redensart, die besagte: zu den Bevorrechteten, Günstlingen usw., Dienern zu gehören, die nicht betroffen waren von dem Brauch, dem Zeremoniell, dass gewöhnliche Untertanen nicht vorgelassen wurden, es sei denn auf gewährten Wunsch oder Befehl, siehe z. B. Jeremia 52,25, Esther 4,11 und andere Stellen.

Der Herr will einfach sagen: Diese Kleinen sind meinem Vater so wertvoll, dass sie als dort seiend, wo Er ist, zu betrachten sind, d. h. im Himmel. Ferner bedeutet dieser Ausdruck, wie Günstlinge das Vorrecht zu haben, zu seiner unmittelbaren Umgebung zu gehören. Und wieso, warum das? Weil sie verloren sind und Er, der Sohn des Vaters, gekommen war, sie zu retten, siehe Verse 11-14.

Beachten wir, dass der Anlass die Frage in Vers 2 nach dem Größeren im Reich der Himmel war, und stellen wir dann noch daneben, wie der Herr sie in seine Arme schließt, sie segnet und von ihnen sagt, dass solcher das Reich der Himmel sei, das heißt, beide entsprechen einander, sind füreinander da, die Kindlein und das Reich der Himmel. So wie der Vater und der Sohn einander entsprechen, so entsprechen einander 18,10.11 und 19,14.15; so deckt sich die beidseitige Einstellung hinsichtlich der Kleinen, der Kindlein.

Es bleibt die Frage, ob der Herr hier wirklich von lebenden Kindern auf der Erde spricht. Denn es fällt auf, dass Er nicht nur den Vater im Himmel sieht, sondern auch die Engel der Kinder. Warum wird ausdrücklich betont, dass diese Engel „in den Himmeln allezeit" das Angesicht seines Vaters sehen (der in den Himmeln ist)? Mir scheint, dass sich der Herr durch diese doppelte Betonung des Himmels auf die Zeit bezieht, in der die Kinder gestorben sind und ihre Seelen - ihre Engel - im Paradies den Vater schauen.

Fußnoten

  • 1 Auch für den Herrn Jesus besaßen sie einen unschätzbaren Wert. Das wird durch die Handlungsweise Jesu in Kapitel 19,14.15 deutlich.
© So sehen Engel bestimmt nicht aus!
Beitrag teilen

Verwandte Artikel

Mose, Johannes der Täufer, Paulus – Christus (5): der Tod Manuel Seibel Im Tod gibt es einen wichtigen Unterschied zwischen Mose, Johannes und Paulus auf der einen sowie dem Herrn auf der anderen Seite. Sie mussten sterben, weil sie - wie wir alle - gesündigt hatten. Christus starb freiwillig - Er war der Sündlose. Artikel lesen
Mose, Johannes der Täufer, Paulus – Christus (6): Begräbnis Manuel Seibel Mose, Johannes, Paulus und über und vor allem Christus sind die größten Glaubensmänner, die wir in Gottes Wort finden. Natürlich könnte man noch Abraham und andere nennen. Interessant ist bei denen, die wir vor uns haben, eine Übereinstimmung ... Artikel lesen
Kinder in den Zusammenkünften? Kinder in den christlichen Zusammenkünften? Erst, wenn sie picobello dort sitzen können und keinen Mucks machen! Oder wie soll man sich richtig verhalten? Artikel lesen
Wie ein Kind seinen Vater sieht Michael Hopp Wie sehen Kinder ihre Väter? Natürlich gibt es dazu keine pauschale Antwort. Aber wenn man ein bisschen darüber nachdenkt, wird man feststellen, dass der Respekt erst abnimmt und dann zunimmt. Gott hat uns unsere Eltern "geschenkt" - lasst uns ... Artikel lesen
Eltern und Kinder Jack Palmer Können Eltern etwas an der Unruhe und Aggressivität ihrer Kinder verändern? Jack Palmer zeigt, dass wir oft zumindest mitverantwortlich sind für das Gehab unserer Kinder. Unruhe und Aggressivität der Kinder haben eine Ursache. In unserem ... Artikel lesen
Kinderrechte und Ausgewogenheit Manuel Seibel Wie sehr schreien viele, auch Politiker, heute nach Kinderrechten. Am liebsten wollen sie dazu das Grundgesetz ändern. Ein, vielleicht der größte Teil der "Kinder" bleibt außen vor. Sie haben kaum jemand, der die Stimme für sie erhebt. Podcast anhören